Yogyakarta, Indonesien09/17–12/17

Stefan Malicky

7. September

Früh aufgestanden, Tee getrunken, geduscht, rasiert und zum Bankomaten gefahren. Ich hoffe, ich habe nicht den erwischt, von dem es heißt, er sei präpariert, auf jeden Fall ist Geld rausgekommen. Zum Super Indo gefahren. Postkarten habe ich erst wieder keine auftreiben können.
Stempelfarbe auch nicht, aber das ist nicht so wichtig.
Später ist dann der Strom ausgefallen und ich habe mich noch einmal schlafen gelegt.
So, jetzt werde ich sehen, was die Medikamente und die hochaktiven Darmsymbionten bewirken. Ich war bei zwei Frauen essen, die irgendetwas am Straßenrand angeboten haben. Hat ganz gut geschmeckt, war aber nur lauwarm. Die eine von den Frauen hat gleich mehrere Selfies mit mir gemacht, was mir nur recht war. Dadurch konnte ich dann auch ungestört die Zubereitung des Essens fotografieren, ohne dass es mir unangenehm gewesen wäre.
Was machen mit dem angebrochenen Nachmittag?
Der elektrische Strom läuft wieder …

 

9. September

Auf älteren Fotos ist zu sehen, dass hinter der Mauer mit dem Fenster auf der Rückseite des Gartens der Residence ein Reisfeld ist. Zurzeit ist dort so etwas, was man in Wien eine Gstettn nennen würde. Gestern wurden dort wieder ein paar Feuer angezündet. Die Leute verbrennen ihren Müll …
Dann bin ich zu Fuß über die Parangtritis bis zur Jogja Galerie und zu dem Papiergeschäft gegangen, wo ich mit Lashita bereits einmal war. Ich war einigermaßen fertig. Die Wetter-App zeigt einen UV-Faktor von 11 an. Wien hat vergleichsweise einen UV-Faktor von 0–1. Man kann sich hier sogar durch das Hemd hindurch einen Sonnenbrand holen. Habe immer wieder breite Straßen überqueren müssen. Irgendeine Parade zum Karton hin hat einen Megastau verursacht. Der erste Go-Jek hat mich nicht gefunden. Oder habe ich ihn nicht gefunden? Bin dann ein Stück zurückgegangen, um bei einem Hotel einen Go-Jek zu nehmen und nach Hause zu fahren. Die Bordsteinkanten an der Parangtritis sind sehr hoch und steil abgeschrägt. Dort parken Mopeds bis auf die Fahrbahn hinaus. … Man kommt oft nicht umhin, über die Fahrbahn auszuweichen. Dort sitzen Leute am Boden, verkaufen Essen, ruhen sich in ihren eigenen Rikschas aus, lackieren mit Sprühfarbe Garagentore, reparieren Mopeds oder sammeln alte Autoreifen zusammen. Diese Straße ist nicht dafür gedacht, an ihr entlangzugehen. Doch die Leute wundern sich nicht, wenn sie einen sehen. Hie und da wird einem eine Runde Motorrikscha fahren angeboten. Man hat nicht das Gefühl, die Leute wollen einem mit aller Gewalt etwas verkaufen. In Kuba vor 17 Jahren war das anders. Die Leute dort waren hartnäckiger. Ein paar Fotos gemacht und ab nach Hause! … Die Mitte des rotierenden Ventilators sieht vom moskitonetzüberspannten Bett aus wie die Pupille eines großen Auges.

 

10. September

Gestern am Abend war ich noch schnell Wasser holen – wegen dem Frühstück –, weil unsere Kanister ausgegangen sind. In dem Geschäft haben die Leute gesagt, ich soll meine Schuhe ruhig anlassen, weil ich sie ausgezogen hatte. Außerdem haben sie gefragt, wo ich herkomme, und ich habe gesagt „Austria, Europe“.
Beim Heimkommen ist eine Gottesanbeterin, die zuvor außen an der unteren Türkante gesessen hatte, plötzlich innen auf der Türschnalle gewesen, direkt dort, wo man hingreift, wenn man die Tür hinter sich zumacht. Ich habe gleich ein Foto gemacht. Heute Morgen habe ich es geschafft, einen Gecko aus der Nähe zu fotografieren …

 

13. September

Also das war’s, ich habe kein Guthaben mehr auf meinem Handy. Und wie ich welches auflade, weiß ich nicht. Ich werde nicht ganz schlau, wie ich das einzahlen soll, wenn das nur über das Internet geht. Wenn das mit Kreditkarte geht, kann ich das von zu Hause aus machen. Wenn ich einen Gutschein brauche, muss ich extra wo hinfahren. Wer kann mir helfen? Das Problem mit dem Handy-Aufladen habe ich meisterhaft gelöst, indem ich zu einer Hütte gegangen bin, wo Handys verkauft wurden, gleich um die Ecke. Ich gebe meine Telefonnummer an und zahle. Voilá das Handy ist aufgeladen. Ein bisschen gebastelt … möchte zu Mittag eigentlich essen gehen …

 

18. September

… also gestern war ich dann schon zu müde, um etwas zu schreiben. Ich habe jetzt einen Hut, auf dem steht BOROBUDUR und eine buddhistische Stupa ist abgebildet, so wie man sie im Original dort auch sieht. Gestern war ich um die Mittagszeit am Candi Borobudur, und der Kauf eines lächerlichen Hutes war unerlässlich. Vor dem Tempelareal heischen die Verkäufer von billigem Schmuck, bieten Tücher mit Motiven zwischen indonesischer Batik bis hin zu Bob Marley an, kleine bis große geschnitzte buddhistische Stupa-Modelle, T-Shirts, Flugdrachen, ausgestopfte Kobras wie Mungos, Sandalen, … dazwischen Stände, an denen es etwas zu essen gibt, ich habe ein Gemüse-Omelett mit Reis gegessen, um in der Zwischenzeit meinen Handyakku aufzuladen. Mangosaft, Tomatensaft, Papayasaft, Orangensaft, … der Handyakku hat genau so lange gehalten, wie ich das Handy gebraucht habe, es war zwar weit, aber ich habe gut nach Hause gefunden, am Ende nur noch mit Nach-dem–Weg-Fragen, weil der Akku dann doch aus war …
Die „Chicken Church“ ist ein eigenes Kapitel, über das es sicher genug zu sagen gibt. Einer meiner Vorgänger hier im Sewon Art Space hat sich näher damit auseinandergesetzt. Es ist eine Kirche in Form einer Henne, die auf einem Hügel gebaut ist. Ich habe auf alten Fotos gesehen, dass diese Kirche nicht immer so blühende Tage erlebt hat wie heute. Verschiedene Leute bei der Chicken Church sowohl als auch beim Borobudur haben sich mit mir fotografieren lassen, weil ich so groß bin oder weil ich als Europäer hier ein Exot bin …

 

19. September

Ich könnte meine Beschäftigung mit Steinen, die ich in Kreta voriges Jahr im Frühling begonnen habe, hier mit Vulkangestein fortsetzen. Steine sortieren, auflegen, auf Steinen kratzen. Was ich dazu brauche, ist ein Transportgerät, am besten einen Kleinlaster, um die Steine ins Atelier zu bringen. Vorher muss ich auch wissen, wo die schönsten vorkommen. Assistenz zu bekommen, dürfte nicht so schwierig sein. Auch wenn das Projekt mit der Außenmauer aus Vulkangestein nicht aufgeht, ist das ein schönes Projekt.
Das Problem ist, dass diese Steine sehr schwer sind und dadurch der Fliesenboden im Studio und mein Rückgrat in Mitleidenschaft gezogen werden. Hierzu sind die Steine auf Bretter zu legen …

 

20. September

Heute habe ich als erstes grünes Brot gekauft. Nein, zuerst war ich bei Milas, Milas hatte noch zu, dann war ich bei ViaVia und habe Insektenspray und Sonnenschutz gekauft, beides natürliche Produkte, von denen nicht ganz klar ist, ob sie wirken. In der Früh habe ich Viktoria eine E-Mail zurückgeschrieben, weil sie mir geschrieben hat, dass mit dem Abbau der Ausstellung in Zwickledt alles in Ordnung war. Heute werde ich selber kochen, so wie meistens. Die Warze an der Unterseite meiner Nase wächst, habe ich den Eindruck. … Jetzt ist die Warze weg, war offenbar doch nur ein Mittesser.
Was ich im ViaVia gekauft habe, war doch beides etwas gegen Insekten, und es war kein „Sunblock“ dabei. Zu spät erkannt, egal, kann das Zeug auch so gebrauchen …

 

24. September

… einkaufen gefahren, ein paar Fotos im Studio gemacht, den Ausstellungstext auf Englisch übersetzt. Der Vormittag ist vorüber.
… die Gummiringerl leben auf … als wären sie Geckos … oder besser „Schreckos!“
Nach meinem Mittagsschlaf bin ich zum Institut Seni gefahren und habe mir etwas zum Essen geholt. Eigentlich wollte ich zum Kopiergeschäft und zum Farbengeschäft, bis mir aufgefallen ist, dass heute Sonntag ist und die Geschäfte wohl zu haben. Es wird Abend. Geregnet hat es heute nicht, obwohl die Voraussage danach war. Es ist ein bisschen düsterer als sonst. Die Lust am Tagebuch-Schreiben ist mir vergangen.
Nach ein paar Bildern in meinem Notizbuch fröne ich dem Nichtstun, um etwas zu haben, worauf ich mich berufen kann.
Später habe ich noch gekocht, Karottencurry mit Nudeln, wobei das Curry eine Fertigsauce beinhaltete, von der zu viel dabei war. War aber gut …

 

25. September

Es regnet das erste Mal, seit ich hier bin. Verleitet zu einer mystischen Betrachtungsweise des Regens, denke ich an Ameisen, ihr Verhalten und ihre Schwarm-Intelligenz und eben an die mystische Bedeutung, die diesen Verhaltensweisen zugeschrieben wird. Ich bin eine Ameise und bringe die Wäsche schnell rein, die zum Trocknen draußen aufgehängt war, denke ich mir, dabei hängt die Wäsche ja gerade unter einem Vordach. Ich reagiere, ich bin Teil von einem Ganzen …

 

26. September

Vor meinem Fenster, das jetzt zum Lüften offen steht, sind mehrere sechseckige Betonbodenplatten, so wie sie bei uns im Garten eingelegt sind und wie ich es woanders auch schon gesehen habe. Wenn das Fenster offen ist, zieht sogar ein kleines Lüftchen herein. Daneben liegt ein zubetonierter und seitlich abgebrochener Blumentopf mit einem Loch in der Mitte. Es bleibt offen oder könnte sogar recherchiert werden, was in diesem Loch gesteckt haben mag. Eine Bambusstange vielleicht? Die Fensteröffnung ist ziemlich knapp beim Boden, Tiere können hier leicht rein, und das Fenster schließt nicht richtig, man kann es anlehnen. Von meinem Fenster aus um die Ecke ist das Küchenfenster zu sehen, das auch nicht gut schließt, und die Geckos können ein- und ausschlüpfen. An der Grundstücksmauer gegenüber der Küche veranstalten die Geckos Verfolgungsjagden. Das Ganze ist bis zur Terrasse raus sogar dicht überdacht. Draußen ist gerade der Kammerjäger, der sein Gift versprüht und Giftfallen legt …

 

27. September

… die beste Zeit hier in Yogyakarta ist der Morgen. Jetzt ist es genau einen Monat her, dass ich mit dem Tagebuch begonnen habe. Es muss geregnet haben in der Nacht. Im Garten ist alles feucht und die sechseckigen Bodenziegel sind mit gelblichem Moos oder einem anderen gelblichen Belag bedeckt. In einer tropischen Landschaft gedeiht und verdirbt alles viel schneller. Lashita hat mir mit der Frage zurückgeschrieben, wie die Tische für meine Ausstellung aussehen sollen. Eigentlich habe ich gedacht, ich beziehe die existierenden Tische mit ein. So habe ich aber die Möglichkeit, bei den Tischen meine eigenen Vorstellungen mit einzubeziehen. Andererseits stehen die Tische ja nur drei Tage in der Ausstellung, also was soll nachher damit geschehen?
Die Geckos verfolgen einander schon wieder. Sie sehen ja auch aus wie kleine Formel-1-Rennautos.
Ein Schweinequieken oder sind es Hühner, schräge Laute von nebenan. Eigentlich höre ich dieses Geräusch fast jeden Tag, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, es hier zu erwähnen. Werde ab heute etwas ruhiger treten. In der kleinen Bibliothek des Hauses habe ich ein Buch von John Cage mit dem Titel „Für die Vögel“ gefunden, das werde ich erst einmal lesen …

 

29. September

Heute habe ich ein bisschen länger geschlafen und bin entspannt aufgestanden. Ich muss den Konsul anrufen, ob der noch in Jakarta ist. Immer als Erstes Nachrichten und Facebook schauen ist ein bisschen ermüdend.
Nach einer kurzen Recherche im Internet habe ich festgestellt, dass es hier in Jogja kaum oder überhaupt keine Touristenresorts gibt. Es gibt zwar Hotels, aber was das für Leute sind, die da übernachten ist unklar, beziehungsweise es sind nicht unbedingt viele Touristen hier. Java ist durchwegs landwirtschaftlich kultiviert, das heißt es gibt hier keinen Urwald. Es wird Reis angebaut, aber auch Mais habe ich gesehen. Kulturell ist Jogja eine Hochburg.
Lustigerweise habe ich hier als „Westler“ manchmal das Gefühl, als wäre ich ein deplatzierter Hugh Hefner in seinem Bademantel. Als wäre ich als Hefner in einem bizarren Traum, in einer verklemmten Traumwelt wiederauferstanden. Hugh Hefner ist ja vor zwei Tagen gestorben. Mein allgemeines Beileid …

 

30. September

Im Studio habe ich heute am Vormittag zwei Bilder in Gesellschaft eines Frosches gezeichnet. Der sitzt in einer Ecke und ist durch sein Spiegelbild auf den schwarzen Wandfliesen irritiert. Nette Zusammenkunft denke ich mir.

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  abenteuerlich
2. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  Erst habe ich dort eine Nachttischlampe unter meinem Moskitonetz, um im Bett lesen zu können, vermisst, bis ich auf die Idee gekommen bin, selbst eine zu installieren. Einen großzügigeren Arbeitsraum kann man sich allerdings schwer vorstellen.
3. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Irgendwie so wie in allen größeren Städten habe ich wenig von Dos & Don’ts mitbekommen. Da ich alleine da war, weiß ich nicht so genau, wie die Leute auf Händchenhalten reagiert hätten. Kann aber sein, dass man damit unangenehm auffällt. Alkohol in der Öffentlichkeit geht auch eher nicht. Schuhe aus beim Betreten von Privaträumen ist oberstes Gebot. Höflicher und formeller sind die Leute als in Österreich.
4. Wo man super Arbeitsmaterial kaufen kann:
  Stempelkissen und Cutter – Toko Kertas & Alat Tulis Pembantu JL. Bhayangkara Mo. 12.
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitnehmen:
  Darmsymbionten aus der Apotheke, ich weiß nicht, wie ich die im Fall des Falles hier kriegen sollte. Außerdem ein starkes Sonnenschutzmittel, tagsüber hat es einen UV-Index von 11! In Wien vergleichsweise hat es bei Schönwetter einen UV-Index von 1.
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort:
  Die Umgebung des SewonArtSpace gilt als kulturelles Zentrum von Indonesien. Institut Seni (größte Kunstakademie Indonesiens), es gibt viele Galerien, die „Yogyakarta contemporary art map“ wird regelmäßig aktualisiert.
7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s den besten Mittagsteller in Laufdistanz:
  Direkt an der Straße gibt es mehrere kleine Läden, wo es etwas zu essen gibt und man sich etwas holen kann. Wer lieber vegetarisch isst, kann zu Milas oder Warung Kita mit dem Moped fahren. Das Problem für Leute, die nicht gerne bei dem dichten Verkehr Moped fahren, ist, dass der größere Supermarkt (Super Indo) nur so zu erreichen ist.
8. Den Tag lasse ich häufig hier ausklingen (Dinner, Drinks und bester Sound):
  Zu Hause mit einem Buch. Warung Kita, Milas, ViaVia oder gleich nebenan im Tirai Bambu.
9. Was ich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Eigentlich war ich gut informiert und vorbereitet.


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