Ilulissat, Grönland01/24–03/24

Sangam Sharma

Im Rahmen von FREE AWAY.

Kalaallit Nunaat, das Land der Menschen (bei uns generell als Grönland bekannt) und seine Bevölkerung haben mich förmlich umgehauen. Da sind die Eisberge, die vom größten Gletscher der Welt Sermeq Kujalleq in die Diskobucht geschleudert werden (nicht umsonst heißt Ilulissat Eisberge in Kalaallisut). Das Eis, der Schnee die Lichter. Ein einziges Naturspektakel, das kostbar ist.

Die Westküste von Kalaallit Nunaat (Grönland), wo ich meinen Aufenthalt verbrachte, ist weltweit am härtesten vom Klimawandel betroffen. Fast alle Konversationen, dich ich hier geführt habe, drehten sich ums Wetter. Ein Mann meinte in Qeqertarsuaq mal zu mir: 'The earth has two hearts, one is here and one lies in Antarctica and soon it will just stop.’ Das ist nur ein Beispiel von vielen, welches die dringliche Lage und absolute Notsituation unseres Planeten illustrieren. Klimaleugner traf ich hier keine.

Die vielen Begegnungen mit Bewohner:innen der größten Insel dieser Welt haben tiefe Eindrücke geschaffen. Zahlreiche Geschichten durfte ich hier mitnehmen und viele neue Perspektiven bzw. Ansichten, die sich auch in der für mich sehr komplizierten und zugleich auch wundervollen Sprache zeigen. Eine Sprache, die eins mit der Natur des Landes und einen tiefen Einblick in die Kultur der Inuit gibt.

Ein Wort, das ich sehr oft gehört habe, ist Immaqa. Vielleicht - wir werden sehen.

Ob der Flieger geht, ob das Wetter hält, ob die Heizung repariert wird.

Ein Wort, in dem Unsicherheit mitschwingt (es ist kein klares Ja), aber zugleich auch Hoffnung (es ist kein definitives Nein).  Zunächst lebt mensch im Jetzt. Das letzte Wort hat hier das Wetter.

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  Die Organisation in Ilulissat (Arctic Culture Lab von Andreas Hoffman) kann ich leider nicht empfehlen, da gibt es null support - es geht um Geld. Ich hatte leider ziemlich schlechte Erfahrungen damit.
Das Land an sich ist aber sehr zu empfehlen. Hier schafft mensch Eindrücke, die ein Leben lang bleiben. 
2. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Dies ist ein immer noch von Dänemark kolonialisiertes Land (wenngleich seit 2009 politisch selbstverwaltet), mit circa 90% grönländischer Bevölkerung. Die absolute Mehrheit wünscht sich Unabhängigkeit. Es ist wichtig sich dessen bewusst zu sein und eine entsprechende Sensibilität (auch gegenüber Traumata) mitzubringen.

Wer zumindest versucht ein paar Brocken Kalaallisut (grönländisch) zu lernen/sprechen wird belohnt. It goes a long way! Am besten von den locals lernen. Geduld haben. Stille aushalten lernen (’We are quiet people‘ Qupanuk Olsen in Q’s Greenland auf YouTube), Bescheidenheit großschreiben.

Auf keinen Fall das Wetter unterschätzen (am besten immer noch ne extra Schicht mitnehmen). Bei Wind und Wetter unbedingt sehr fetthaltige Cremen verwenden (habe mir vor Ort eine 100% Fett Babygesichtscreme im Supermarkt gekauft). Es gilt zu beachten, dass auf dem Wasser/auf Eis (Meer) und bei Schlitten-/Snowscootertouren nochmal 10-15C kälter ist (das muss dann von der gerade herrschenden Temperatur abgezogen werden), das gleiche gilt für wind chill.

Achtung bei elektronischen Geräten (Kameras, Handy, Videoequip usw.) sollte mensch bedenken, dass sie sich bei großer Kälte rasch abdrehen und der Akku extrem schnell leergesaugt ist.

Unbedingt Offenheit mitbringen und Bewusstsein für lokale Lebensweisen/Hintergründe. Mein Motto war: listen and learn (and laugh together - hier gibts auch viel Humor).

Mensch sollte sich selbst auch nicht zu ernst nehmen und seine eigene Position durchaus mal in Frage stellen (können).
3. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  Die Menschen und die Natur. Schnee und Eis. Die Sprache, der Austausch und die Arktis. Jedoch bemühe ich mich sehr diese Beziehungen nachhaltig weiterzuleben (it is the beginning - not the end). Faxe Kondi (das grönländische Sprite).
4. Super Arbeitsmaterial gibt’s hier zu kaufen:
  Nein, hier gibt es nur die basics (Zeichenblock, Stifte usw.) ev. auch elektronische Geräte/Akkus usw. (in Ilulissat).
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitbringen:
  Viel warmes Gewand (Merino, Fleece, tech wear) zum Schichten a la Zwiebelprinzip, die letzte Schicht muss Wind gut isolieren (Schneestürme sind hier nicht selten), wirklich gute und sehr warme und schneebeständige Schuhe (hab meine Sorel 2nd hand in Wien gekauft). Hier besser in arktische Standardmarken investieren (Fjällräven, Sorel, Baffin, Colombia usw.), wenn möglich schon zuhause second hand erstehen. Vor Ort ist alles (!) ziemlich teuer. Das gilt auch für basics/essen aus dem Supermarkt (vieles muss extra eingeflogen werden oder kommt paar Mal im Jahr via Schiff, wenn das Meer gerade eisfrei ist). Falls Gewand nachgekauft werden muss, empfehle ich die grönländische Marke Meqqusaalik, meist auch im Supermarkt erhältlich.

Im Winter Eisspikes für die Schuhe (kann meist auch vor Ort besorgt werden).

Außerdem Vitamin D Kapseln (wegen er Dunkelheit Nov-Feb), generell sind Vitaminsupplements nicht fehl am Platz (besonders für vegetarische Personen. Vegan zu leben wäre hier sehr schwer), ich bin auch auf frischen Fisch (local) ausgewichen (in Ö ernähre ich mich vegetarisch).

Geld (im Sinne von vorher schon ein wenig sparen) und irgendeine Versicherung, die Grönland abdeckt (der Alpenverein macht das z.B. nicht, allerdings wird man als EU-Bürger:in sehr wohl in Krankenhäusern/Gesundheitszentren erstversorgt).
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort und wo ich die besten Ausstellungen besucht habe:
  Die Dauerausstellungen im Ilulissat Art Museum und Qeqertarsuaq Museum. Wer mehr (Galerien und so) will muss nach Nuuk. Auch gut die Werkstätte von local artists in Ilulissat besuchen.
7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s das beste Mittagsmenü um die Ecke:
  In Ilulissat gibt es ein paar Cafes, das Beste war Cafénnguaq. In Qeqertarsuaq gab es eigentlich nur Bella’mut und nur manchmal offen Kuannit - zugleich auch ein kleiner Laden mit local art. Dort gab es auch nur einen Supermarkt, aber das reicht.
8. Den Tag lasse ich bei einem Dinner, Drinks, gutem Sound oder zum Networken häufig hier ausklingen:
  Am besten zuhause bei neuen Freunden oder in der Natur die Abenstimmung/Sonnenuntergänge/Nordlichter bewundern. Wer es urban mag ist hier nicht so gut aufgehoben. Ilulissat hat ein paar Cafe/Pubs, die unter Tags oft Essen anbieten. Am Wochenende spielen dort oft local Bands. Dann sperren die Lokale abends zu und machen um 22:00 wieder auf.
9. Was ich eigentlich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Hier handelte es sich um einen selbstorganisierte AiR im Rahmen des BMKÖS FREE AWAY Stipendiums. In Kalaallit Nunaat gibt es wenig Auswahl was offiziell AiR Programme anbelangt. Solche Residency Programme existieren momentan nämlich nur in Nuuk, Ilulissat und theoretisch in Upernavik (temporär eingestellt).

Es wäre gut gleich einen Einblick in die Organisation gehabt zu haben und ev. vorab einen Alternativplan mitzubringen (z.B. davor schon andere Kontakte suchen und Vernetzung zu betreiben. Der Bund hat viel Verständnis, falls etwas nicht so gut klappt - einfach alles transparent kommunizieren), damit man im worst case scenario rasch eine Lösung hat.

Sonst ist man in Grönland schnell isoliert und hat keine andere Wahl, als es einfach durchzuziehen (die Orte sind oft sehr autark, es gibt keine Straßen, die die sie verbinden und weitere Reisen sind v.a. im, Winter mitunter schwierig und generell sehr teuer - oft ist es ‚billiger' nach Kopenhagen zu fliegen als an einen anderen Ort in Grönland). In den eisfreien Monaten kommt man günstiger mit dem Boot voran.

Die Residency Organisation in Ilulissat (Arctic Culture Lab) kann ich hier leider nicht empfehlen, der Typ, der das leitet (kein local) ist schwierig, es gab auch null support/Verständnis. Hier geht es mehr um Geld und Vereinnahmung als ernst gemeinten Austausch. Vom Bund fühlte ich mich aber sehr gut unterstützt, es gab eine offene lösungsorientierte Kommunikation. Dasselbe gilt für die IG Bildende Kunst (eine Mitgliedschaft ist, auch falls es Probleme gibt, nicht verkehrt).


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