Tokio, Japan05/17–07/17

Katharina Gruzei

Tokio – die Stadt, die niemals endet

Tokio überrascht, denn trotz einer Agglomeration von 38,1 Millionen Menschen fühlt sich die Stadt gar nicht so an, als wäre sie die größte Metropole der Welt. Es wirkt, als wäre die Stadt anderen Megacities einen Schritt voraus. Sie krankt weder an Smog durch übermäßigen Autoverkehr, noch ist sie ein Moloch unattraktiver Großstadtbebauung. In Japans Hauptstadt vermischen sich die alten Bezirke mit traditioneller Bebauung in angenehmem Rhythmus mit den neuen Wolkenkratzer-Siedlungen. Die abwechslungsreichen Viertel und die außergewöhnlichen Grünflächen erzeugen das besondere Flair Tokios und sorgen für eine hohe Lebensqualität. Die Koexistenz unterschiedlicher Pole ist zugleich Sinnbild für das sich ständig widersprechende „Land der Gegensätze“.

Nach Stadterkundungen an den schrillen, pumpenden, flackernden Hotspots Tokios kehrt man zurück in den ruhigen und hauptsächlich traditionell bebauten Bezirk Arakawa, der ein völlig anderes Japan für einen bereithält. So wird das Wohn- und Atelierhaus zur Basis diverser Erkundungen oder zum Ruhepol.

Wenn man nicht unbedingt auf der Suche nach Anschluss ist, hat das Atelier den Vorzug, dass es unbetreut und deshalb zwanglos ist – was ich in Japan tatsächlich als Vorteil einstufen würde. Da Tokio zu den sichersten Metropolen der Welt zählt, kann man problemlos alleine und nachts unterwegs sein. Eine Möglichkeit, die man keinesfalls unversucht lassen sollte. Schon wegen der tollen Stadtansichten nicht!

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  Wunderbar!
2. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  Die großzügige und charmante Wohnmöglichkeit, das japanische Essen, mein japanischer Freundeskreis, das Hören der Sprache, der Blick auf die Stadt, die Convenient Stores, der rücksichtsvolle Umgang, das abwechslungsreiche Stadtbild, die Getränkeautomaten und die besondere Stimmung von Tokio.
3. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Dos:
Müll akribisch genau trennen
laut Suppen schlürfen
Schuhe ausziehen vor dem Betreten von Tatami Zimmern
mit dem Regionalzug die Grenzen der Stadt ausloten
Japan Travel Pass besorgen und Japan erkunden
Yodobashi Camera, Akihabara
die Schätze der japanischen Küche auskosten
Monorail fahren, Tokio mit dem Rad erkunden z. B. entlang der Flüsse
Sonnenuntergang auf der Rainbow Bridge
  Don’ts:
lärmen (außer im Izakaya)
im Restaurant schneuzen
komplizierte Bestellungen
englische Sprachkenntnisse oder englische Menükarten erwarten
drängeln, unhöflich oder ungeduldig sein
über Strahlung nachdenken
Taxi fahren (extrem schön, extrem teuer)
4. Wo man super Arbeitsmaterial kaufen kann:
  In direkter Umgebung des Ateliers:
Home’s – Baumarkt zwischen Sumida und Arakawa Fluss (10 min vom Atelierhaus)
100 Yen Shop – Haku-yen Shop (5 min vom Atelierhaus, überall in der Stadt)
Daiso – wie 1€ Shop (5 min vom Atelierhaus, überall in der Stadt)

Spezialisierte Läden in anderen Bezirken:
Tokyu Hands (div.), Sekaido (Shinjuku), Itoya (Ginza) für Bürowaren, Papiere, Zeichenmaterial, Farbe, Künstlerbedarf, …
Yodobashi Camera, Bic Cam (vom Druckerpapier bis zur Kamera, außerdem analoge Filme!)
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitnehmen:
  Kräutertee (es gibt kaum Tees, die nicht munter machen)
evtl. Müsli und gutes Olivenöl (teuer), Medikamente (Sprachbarriere)
Japaner schenken sehr gerne und freuen sich auch über kleine Aufmerksamkeiten aus Österreich (Kürbiskernöl, Schokolade, Süßigkeiten, …)
Offenheit und Lust auf Neues
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort:
 

Viele Institutionen sind einen Besuch wert: Mori Museum (Ticket im Vorhinein im Internet buchen = nicht anstehen müssen), National Art Center, Top Museum, Museum of Contemporary Art (derzeit in Renovierung), Edo-Tokyo Museum, Meiji Museum, … darunter einige kleinere Galerien / Offspaces wie Scai the Bathhouse, SYP Art Space, Art Trace Gallery …
Die Institutionen zeigen zu großen Teilen eher traditionelle, ästhetische oder dekorative Kunst. Kunst im öffentlichen Raum in Japan hat leider einen großen Entertainment-Charakter. Wenige Institutionen nehmen es mit politischen Themen auf oder adressieren aktuelle soziokulturelle Tendenzen. Das ist rar, aber doch in Offspaces oder auf anderen Plattformen der Subkultur zu finden. Es ist üblich, relativ hohe Eintrittspreise zu zahlen, und Ermäßigungen gibt es kaum.
Förderungen für Künstler:innen vor Ort sind kaum existent, und es gibt keine finanzielle Unterstützung für Offspaces. Diese gibt es trotzdem, aber sie müssen über andere Quellen finanziert werden. Viele Künstler:innen machen ihre eigenen Offspaces auf und finanzieren sie kollektiv, z. B. von ihren Brotjobs. Auch deshalb ist es in Tokio üblich, Eintritt zu zahlen bzw. Galerien und Offspaces zu vermieten. In der wärmeren Jahreszeit gibt es sehr viele Kunstfestivals außerhalb der Städte in den unterschiedlichen Präfekturen.
Es ist auch interessant, sich die anderen Residencies in der Stadt anzusehen und sich mit den Künstler:innen dort auszutauschen: z. B. Tokyo Wonder Site (jetzt TOKAS), 3331 Arts Chiyoda, Art Center Ongoing. Wer Zeit hat, sollte auch nach Yokohama fahren und die Kunstszene dort erkunden.
Ich habe die Szene als sehr freundlich im Umgang und zugänglich erlebt. Einfach Eröffnungen besuchen und auf die Leute zugehen. Als Europäer hat man außerdem einen gewissen Exotenstatus. Einige japanische Künstler:innen haben im Ausland studiert und sprechen gutes Englisch. Viele freuen sich über Kontaktaufnahme und Austausch mit Künstler:innen aus dem Ausland. Da die Menschen in Japan eher schüchtern und zurückhaltend sind, sollte man viel Selbstinitiative auf die Residency mitnehmen und am besten schon im Vorfeld Kontakte knüpfen.

7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s den besten Mittagsteller in Laufdistanz:
  Für Abenteuerliche gibt es direkt in der Machiya Metrostation (unter dem Sunpop Einkaufszentrum) ein uriges Izakaya (japanisches Gasthaus). Dort wird kein Englisch gesprochen, es herrscht ein etwas rauer, aber amüsanter Ton und es gibt keine englische Speisekarte – einfach bestellen und ausprobieren. Die Speisen sind toll, die Preise auch ok.
Ein sehr gutes Nudellokal namens ??? ???? ??? mit eigener Nudelmanufaktur gibt es südlich vom Atelierhaus. Besonders gut sind die Ramen mit Tomatensauce.
Der „Life“ Supermarkt ist 5 Gehminuten vom Atelierhaus entfernt. Der günstigere Lebensmittelladen befindet sich im Untergeschoss des Baumarkts zwischen Sumida und Arakawa. In beiden Läden gibt es auch fertig zubereitetes Essen zum Mitnehmen (Sashimi, Sushi, Nudel- und Reisgerichte), das gut und viel hochwertiger ist, als man es aus Österreich kennt. Ab 19 Uhr wird der Preis nochmals stark reduziert.
8. Den Tag lasse ich häufig hier ausklingen (Dinner, Drinks und bester Sound):
  … in der Oktopus Bar ???zwischen 24 hours girls und Bunny Bar. :)
Sie befindet sich im ersten Block auf der rechten Straßenseite, wenn man von der Metrostation Machiya zum Atelierhaus geht. Es gibt günstiges Fassbier, wunderbares Takoyaki (Okonomiyaki mit Oktopus) und einen kleinen Tisch auf dem Gehsteig, der fast immer frei ist. (Es gibt in Tokio sehr wenige Möglichkeiten, im Freien zu essen und zu trinken.)
Das Kaffeetrinken einfach mal vergessen und auf Macha / Grüntee umsteigen!
Die Aussichten von Skybars sind in Tokio besonders empfehlenswert. Die Skybar Bellovisto im Cerulean Tower in Shibuya (Tokyo Hotel) fand ich sehr schön.
Wer Lust auf elektronische Musik und tanzen hat, könnte im Oath Club richtig sein. Es kommt sehr auf den Abend an, wie die Stimmung im Club ist. An einem Abend sind dort nur Japaner:innen, beim nächsten Mal fast nur westliche Besucher, die beruflich in Tokio gestrandet sind, oder Touristen. Der Club wird von lokalen Dj(ane)s bespielt, ist preislich sehr o. k. und hat einen charmanten Ausblick auf die Stadtautobahn. Man kann Tokio tanzend beim Erwachen zusehen.
9. Was ich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Eigentlich ist man, dank der Berichte von den Vorgänger:innen, sehr gut vorbereitet. Ich vermute, dass es als strikte/r Vegetarier:in beim Auswärts-Essen schwierig werden könnte. Man sollte sich dann darauf einstellen, viel selbst zu kochen. Es gibt wunderbare vegetarische Snacks, aber Dashi (Fischbrühe) ist die Grundlage der meisten japanischen Gerichte. Online findet man aber auch vegetarische oder vegane Lokale.


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