Istanbul, Türkei10/19–12/19

Amina Handke

Istanbul ist nicht nur riesig, sondern bietet auch scheinbar uneingeschränkt Unerwartetes, An-, Aufregungen und Herausforderungen, nicht nur für Besucher:innen. Es ist, als wäre man in drei oder vier Städten gleichzeitig, nicht nur zwischen oder auf zwei Kontinenten, und würde sich außerdem in unterschiedlichsten Momenten der Geschichte und Gegenwart bewegen. Von einem Tag auf den anderen kann ein Häuserblock verschwinden und ein neuer entstehen. Das Tempo und Ausmaß der Veränderungen verwirrt selbst diejenigen, die schon länger dort wohnen. Zusätzliche Herausforderung für die (Orientierungs-)Sinne ist die Mehrdimensionalität der Stadt, die sich nicht nur in alle Himmelsrichtungen bewegt, sondern auch nach oben und unten (und durch das Meer). Weil es so vieles zu sehen, zu hören, zu riechen und zu schmecken gibt – nicht nur im künstlerischen Sinn – und auch viel zu gehen und zu fahren, wollte ich die Zeit in erster Linie nutzen, um Istanbul zu erkunden und die Sprache zu erlernen. Sogar der Alltag will neu erlernt werden, damit auch die eigenen Gewohnheiten und Sichtweisen.

Interessant finde ich, dass die vorgegebenen Fragen und die Einleitung hier aus meiner Sicht mehr auf Tourismusspaß ausgerichtet sind als auf einen Arbeitsaufenthalt, der doch eigentlich die Gelegenheit bieten kann, touristische Sichtweisen zu hinterfragen und zu vermeiden. 

1. Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort:
  Ezici.
2. Dos & Don’ts an diesem Ort:
  Do: Erwartungen, Meinungen und Vorurteile über Bord werfen. Höflicher Gast sein. Don’t: Beurteilen.
3. Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin:
  Der Klang der Stadt: Möwen, Katzen, Muezzins, Straßenhändler, Motore, Hupen, Schiffshörner. Nachts vermisse ich den Lärm aber auch wieder nicht.
4. Wo man super Arbeitsmaterial kaufen kann:
  Kommt drauf an, was. Es gibt sehr viele kleinere Geschäfte, Handwerk und Einzelhandel, oft sind ganze Nachbarschaften einem Bedarf gewidmet (Boots- und Fischereibedarf, Textilien, Konditorei etc.). Arbeitszeit ist für europäische Verhältnisse sehr günstig, also nicht davor zurückschrecken, jemanden anzuheuern – etwa auch um die Sprache zu lernen/üben!
5. Das sollte man unbedingt von zu Hause mitbringen:
  Feste, wasserdichte Schuhe mit gutem Profil. Ausreichende Türkischkenntnisse für alle Alltagsfragen.
6. Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort:
  Die Auswahl ist groß. 2019 hat das neue Arter-Gebäude in Dolapdere eröffnet, dort gibt es mehrere Ausstellungen gleichzeitig und außerdem sehr bezeichnende Eindrücke / Ausblicke von/auf die Kontraste der Stadt, auch was Arm und Reich betrifft oder Gentrifizierung.
7. Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, hier trinke ich Kaffee und hier gibt’s den besten Mittagsteller in Laufdistanz:
  An der Türkgücü Caddesi Richtung Taksimplatz ist eigentlich alles – ein sehr günstiger und guter veganer Imbiss, das Fertiggerichtelokal Cihangir Lokantasi, die tolle Konditorei Elvan und außerdem gibt es mehrere kleinere Imbisse samt lokalem Supermarkt und Obst- und Gemüseläden. Die französische Supermarktkette Carrefour würde ich nach Möglichkeit meiden. Es gibt sinnvollere Weisen, das Stipendiumsgeld auszugeben.
8. Den Tag lasse ich häufig hier ausklingen (Dinner, Drinks und bester Sound):
  Ein Balik Dürüm und / oder Cay vom Straßenhändler, auf einer der beiden Seiten des nördlichen Galatabrückenkopfs am Wasserufer sitzend. Dabei den Fähren zusehen und dem Sonnenuntergang hinter den Moscheen der Altstadt – unglaublich! Wer weiß, wie lang es diese Möglichkeit noch gibt… Zum Durchatmen und Tee (oder was anderes) trinken ist das Café der Istanbul Sosyal Tesisi (direkt um die Ecke am Sanatkarlar Park) besonders beeindruckend – wenig Menschen, sehr günstig und einer der schönsten Ausblicke Richtung Marmarameer. Die Teeterrassen der städtischen Buchläden an den Fähren-Anlegestellen sind auch schön, aber daher gut besucht. Die Balkon Bar mitten im stressigen Galata-Ausgehviertel ist außerdem eine Empfehlung – sehr relaxt und schöner Dachterrassenblick übers goldene Horn. Eine zweite Ruheoase direkt neben der Istiklal Caddesi ist außerdem das Urban Cafe.
9. Was ich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte:
  Wie viel Unerwartetes gleichzeitig passieren kann (insbesondere, wenn der Vorgänger die Wohnung verwüstet) und wie spannend ein Alltag ohne ausreichende Türkischkenntnisse sein kann.


Website Künstler:in:              amina.at