Michaela Schwentner
Meine vom BMWKMS und vom Helsinki International Artist Programme (HIAP) zur Verfügung gestellte Residency habe ich auf Suomenlinna, einer Insel etwa zwei Kilometer vom Festland Helsinkis entfernt, verbracht. Suomenlinna ist UNESCO-Weltkulturerbe, daher sehr touristisch in der warmen Jahreszeit. Die Geschichte der Insel ist die Geschichte von Finnland, und sie hat mich gleich vom ersten Tag meines Aufenthalts an gefesselt und wird mich noch lange beschäftigen.
Vor meiner Anreise nach Helsinki hatte ich geplant, mein laufendes mehrteiliges Projekt zu Arbeitsbedingungen von Frauen vor allem im Bereich der Textilproduktion und den damit verknüpften sozialistischen (und) feministischen Forderungen nach Verbesserungen im 19. und 20. Jahrhundert auf Finnland auszuweiten und meinen Blick auf die Situation und Entwicklung hier zu lenken. Ich bin allerdings gleich am Ankunftstag auf den Finnischen Bürger*innenkrieg gestoßen und habe begonnen, zu den Ereignissen zu recherchieren. Mich haben vor allem die – meist jungen – Arbeiterinnen der Textilfabriken interessiert, die den Roten Garden beigetreten sind und bewaffnet und in Hosen gekämpft haben. Viele von ihnen wurden während des Kriegs und noch danach exekutiert. Ich möchte ihre Geschichte erzählen und habe zu ihren unterschiedlichen Motivationen, Ängsten, Zweifeln und Bedenken recherchiert. Suomenlinna war während des Bürgerkriegs ein großes Gefangenenlager, in dem viele Inhaftierte an Krankheiten und Unterernährung gestorben sind. Die Insel selbst, in die sehr sichtbar noch immer die Kriegsgeschichte, vor allem die des 19. Jahrhunderts eingeschrieben ist, wurde mein Thema.
Dazu war ich auch in der Umgebung von Helsinki unterwegs, um historische Schauplätze, Frontverläufe, Kampfzonen und Gefangenenlager aufzusuchen, unter anderem in Hämeenlinna, Tampere, Turku, Tammisaari, Hanko und Hyvinkää, wo sich die Villatehdas, die Wollfabrik, deren Arbeiterinnen 1918 großteils der Roten Garde beigetreten sind, befindet.
Im Laufe meines Aufenthalts habe ich eine installative Arbeit entwickelt, in der historische und aktuelle Karten von Finnland, ins Englische übertragene finnische sozialistische Lieder, Archivbilder, Booklets mit einem kurzen Filmscript und mehrere Filmminiaturen in einem antihierarchischen Arrangement versammelt sind.
Die Teilnahme an der Präsentation im Rahmen des Open Studio Events gegen Ende der Residency ist nicht obligatorisch, doch die meisten der Residents wollten Einblicke in ihre Projekte gewähren. Ich habe ebenfalls teilgenommen, um mir selbst eine Deadline für die Produktion von Text-, Ton- und Bildmaterial zu setzen und das hauptsächlich theoretische und historische Material in eine Rauminstallation zu übersetzen, über die ich mein Projekt und den Entwicklungsprozess vermitteln konnte. Die Arbeit am Projekt ist noch nicht abgeschlossen, das Thema ist sehr komplex und bedarf weiterer vertiefter Recherche, damit ich meine Erkenntnisse seriös in eine poetische filmische Form übersetzen kann.
Die Zeit im HIAP Atelier war für mich sehr inspirierend und hat mich schneller zu einem neuen Thema bzw. Projekt gebracht, als geplant. Ich habe mit einem Auge einen historischen Blick auf Suomenlinna, Helsinki und Finnland eingenommen und mit dem anderen Auge aktuelle gesellschaftliche Aspekte wahrgenommen, die ich sehr positiv erlebt habe. Die finnische Gesellschaft ist sehr darauf bedacht, dass alle Menschen, die sich in Finnland aufhalten, eine gute Zeit haben. Die große Offenheit, Neugier und Kommunikationsfreudigkeit werden mir in bester Erinnerung bleiben, genauso wie die landschaftlichen Besonderheiten, der ständige Wechsel zwischen bzw. die Gleichzeitigkeit von Wasser und Land und die dabei entstehenden speziellen Lichtverhältnisse. So haben sich wunderbare Ein- und Ausblicke ergeben: in und auf das Land und darüber hinaus
| 1. | Mein Aufenthalt im Atelier in einem Wort: |
| Bereichernd! | |
| 2. | Dos & Don’ts an diesem Ort: |
| Keine Don’ts; Dos: das Studio auf Suomenlinna wählen, viel herumfahren und die Umgebung erkunden (von Tampere bis Tallinn). | |
| 3. | Das fehlt mir/das vermisse ich, seit ich nicht mehr dort bin: |
| Die Aussicht auf das Meer und die Weite, die speziellen und unterschiedlichen Lichtstimmungen zu jeder Tageszeit; die Menschen, die ich hier nur kurz oder besser kennengelernt habe; die unglaubliche Hilfsbereitschaft, Kommunikationsfreudigkeit, Offenheit und angenehme Gelassenheit der Finn*innen; die sichtbar gut funktionierende, aufeinander aufmerksame finnische Gesellschaft und ihre Errungenschaften, um die ich sie sehr beneide; und schließlich die Fahrten mit den kleinen sympathischen FRS-Fähren, die nur in der warmen Saison betrieben werden, weil sie keine Eisbrecher sind. | |
| 4. | Super Arbeitsmaterial gibt’s hier zu kaufen: |
| Da ich hauptsächlich zum Recherchieren und Schreiben hier war, habe ich nur wenig Material benötigt. Ich habe Stoffbänder und Tonpapier im Askarelli (Nähe Kamppi) gefunden. | |
| 5. | Das sollte man unbedingt von zu Hause mitbringen: |
| Ohropax, Geschirrtücher (hier werden Frotteehandtücher verwendet), warme Kleidung und Badesachen. | |
| 6. | Zum Thema Kunst an meinem Residency-Ort und wo ich die besten Ausstellungen besucht habe: |
| Ich bin Mitte August, also noch in der Kunst-Sommerpause, nach Helsinki gekommen; weder hatten Ausstellungen geöffnet noch gab es sonstige Kunstveranstaltungen bis Anfang September. Das Angebot ist ab Mitte September sehr vielfältig und dicht. Die etablierten Kunstinstitutionen sind sehr kompakt auf relativ engem Raum versammelt: Kiasma, Amos Rex, HAM (zum Zeitpunkt meines Aufenthalts mit einem Teil der Helsinki Biennale). Die Galerie Hyppolite im Designviertel finde ich sehr gut, dort habe ich auch die beste Ausstellung gesehen. In unmittelbarer Nähe befindet sich auch das Architektur- und Designmuseum. Das Angebot an Veranstaltungen im Kunst- und Diskurskontext ist sehr umfangreich, vor allem die Kunstuniversität und Publics organisieren viele spannende, lokal und international zusammengesetzte Veranstaltungen wie Symposien, Lecture Performances, Artist Talks, Präsentationen u.v.m. Wirklich zu betonen sind die Professionalität und das Engagement des HIAP-Teams: Die Residents werden wöchentlich mit Infos zu Eröffnungen, Talks, Symposien etc. versorgt; das Team ist sehr fürsorglich, informativ, kommunikativ, Anlaufstelle für alle Belange und sehr bemüht, den Bedürfnissen aller gerecht zu werden. |
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| 7. | Rund um das Auslandsatelier – hier kaufe ich ein, trinke Kaffee und finde das beste Mittagsmenü um die Ecke: |
| Ich bin keine Mittagesserin, daher war das für mich nie Thema. Auf dem Festland ist das Bruket bei der Academy of Fine Arts/Uniarts in Sörnäinen eine gute und günstige Gelegenheit bei Bedarf. In den Museen gibt es auch kleinere Restaurants oder Buffets. Auf Suomenlinna sind vor allem in der warmen Jahreszeit das Adlerfelt mit dem charmanten Gastgarten und den feinen Gerichten und das Café Piper wegen seiner Lage mit Aussicht aufs Meer eine Empfehlung (Achtung: sehr touristisch und meistens voll!). | |
| 8. | Den Tag lasse ich bei einem Dinner, Drinks, gutem Sound oder zum Networken häufig hier ausklingen: |
| Ich habe mich hauptsächlich an der Küste auf den sonnenwarmen Steinen aufgehalten und die Stimmung mit einem Drink genossen. | |
| 9. | Was ich eigentlich gerne schon am Beginn meiner Residency über das Atelier gewusst hätte: |
| Suomenlinna ist ein hypertouristischer Hotspot; täglich strömen hier Tausende Tourist*innen auf die Insel. Erholsame Spaziergänge sind hier erst ab Mitte September möglich, und die Wohnateliers sind sehr hellhörig. HIAP-seitig wurde ich schon vor der Anreise sehr umfassend mit Informationen versorgt. |
Website Resident: jade-enterprises.at